1874 – 1879
In den Jahren 1874 bis 1879 wurde das Landgericht Gera errichtet. Der Gefängnisbau findet erstmalig 1876 in der Geraer Stadtchronik Erwähnung, belegt durch die Beschwerde eines Geraer Bürgers. In späteren Dokumenten wird das Gebäude auch Landhaus und Gefangenenhaus genannt und unterstand dem fürstlichen Kreisgericht Gera des Fürstentums Reuß jüngere Linie. Am 20. Januar 1879 schreibt die Abteilung des Fürstlichen Ministeriums: „Gegenwärtig sind im Gefangenenhaus 25 Zellen belegbar. Mit dem Bau einer 2. Etage können 41 Zellen geschaffen werden.“
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges 1918, dem Abtreten des Fürsten Heinrich Reuß XXVII. in Folge der Novemberrevolution und der Gründung des Freistaates Thüringen 1920 diente das Gebäude weiterhin als Untersuchungsgefängnis für das Landgericht und als Haftanstalt für das Amtsgericht.
Auszug aus einer Zustandsbeschreibung von 1910
„Drei hauptamtliche Gefängnisbeamte, ein Hilfsaufseher, zwei Köchinnen und Aufseherinnen für die weiblichen Gefangenen (täglich eine Stunde). Bauliche Verbindung mit dem Gerichtsgebäude, die Wohnung des Gefangenenaufsehers befindet sich unmittelbar neben dem Gefängnis vier Flure mit Zellen: 58 Zellen mit 25 cbm für zwei Gefangene und drei Zellen mit 50 cbm für drei Gefangene. Kleine Arbeitsstube, eine Arrestzelle, eine Krankenzelle. Zellenfenster: 1,15 m lichte Weite, z. T. Kastenblenden. Fünf Aborte mit Wasserspülung, Zellenkübel mit Wasserverschluss. Eine Wanne, zwei Duschen und ein Bad im Erdgeschoß. Freihof 200 qm groß. Küche, Vernehmungszimmer und Kirchenraum sind vorhanden.“
Für Privatunternehmer wurden Tüten geklebt, Tabak entrippt und Rohr geflochten.
1933 – 1945
Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers und der NSDAP diente das Landgerichtsgefängnis der NS-Justiz in erster Linie als Untersuchungshaftanstalt. Gerade in den ersten Monaten der Diktatur wurden hier politische Gegner, wie Mitglieder der Gewerkschaften, der SPD und der KPD inhaftiert und verhört. Auch andere von den Nationalsozialisten verfolgte Gruppen waren im Amthordurchgang inhaftiert. Viele der Gefangenen wurden danach in die Konzentrationslager verschleppt. Die Geheime Staatspolizei (Gestapo) besaß große Machtbefugnisse zur Verfolgung politischer Gegner.
Die Gestapo konnte ohne Anklage und Beweise Menschen verfolgen, inhaftieren, foltern und ermorden. Die Justiz war nur noch ein Instrument zur Machtsicherung und Durchsetzung des vom Rassenwahn geprägten Rechts.
Die Gefangenenzahlen im Landgerichtsgefängnis Amthordurchgang stiegen bis zum Januar 1934 von zuvor 50 auf 110. Zur Unterstützung bei den Wachtätigkeiten wurden weitere Hilfsaufseher, ausnahmslos Mitglieder der SA oder SS, eingestellt.
Die Haftbedingungen verschlechterten sich seit Beginn des Krieges zunehmend. Die Belegung stieg kontinuierlich bis zum Februar 1945, in dem durchschnittlich 154 Gefangene pro Tag im Gefängnis festgehalten wurden.
Rudolf Diener wurde am 15. Juli 1904 in Gera geboren. Er erlernte den Beruf des Tischlers.1924 trat er in die KPD ein und nahm an Wahl- und Streikversammlungen teil. Daraufhin wurde er gemaßregelt und verlor seine Arbeitsstelle. Am 5. Juli 1934 wurde er wegen der Verbreitung illegaler Schriften, der Unterbringung von flüchtigen Funktionären und der Fortsetzung der illegalen Arbeit angeklagt. Im Oktober 1934 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu zwei Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Er kam nach Bad Sulza und anschließend nach Torgau. Von dort aus wurde er in das KZ Buchenwald verschleppt. Im April 1939 wurde er amnestiert. Er kämpfte weiter gegen die NS-Diktatur. 1940 folgte eine weitere Verhaftung und er kam nach Gera ins Gefängnis Amthordurchgang. Am 13. März 1941 wurde er dort von der Gestapo erschlagen.
1945 – 1952
Nach dem Einmarsch der Roten Armee in Thüringen im Juli 1945 übernahmen die sowjetische Militärpolizei und der sowjetische Geheimdienst (NKWD) das Gefängnis. Im Rahmen der umfassenden Entnazifizierungspolitik der Alliierten diente es als regionales Auffanggefängnis. Doch auch viele Personen, denen man antisowjetische Handlungen und geheimdienstliche Aktivitäten für die Westalliierten zur Last legte, wurden nach dem Befehl des Volkskommissars für Innere Angelegenheiten der UDSSR aus politischen Gründen inhaftiert, gefoltert, später in Speziallager gebracht oder zum Tode verurteilt. Dabei genügte bereits der kleinste Verdacht, etwa der nationalsozialistischen Untergrundbewegung „Werwolf“ anzugehören. Meist mit Druck und Folter wurden Geständnisse erpresst.
Nach 1947 wurden Inhaftierungen häufig mit Wirtschaftsverbrechen“ begründet. So konnten auf dem Weg der Kollektivierung der Wirtschaft, Enteignungen vollzogen werden.
Jede Form von Kritik an den Machthabern wurde nach 1950 zunehmend mit dem Paragraphen der „Boykotthetze“ verfolgt. Bereits ein Witz über Stalin konnte dabei schon als „unerwünschte Kritik“ bewertet und mit hohen Haftstrafen bestraft werden.
Nach 1947 wurden Inhaftierungen häufig mit Wirtschaftsverbrechen“ begründet. So konnten auf dem Weg der Kollektivierung der Wirtschaft, Enteignungen vollzogen werden.
Jede Form von Kritik an den Machthabern wurde nach 1950 zunehmend mit dem Paragraphen der „Boykotthetze“ verfolgt. Bereits ein Witz über Stalin konnte dabei schon als „unerwünschte Kritik“ bewertet und mit hohen Haftstrafen bestraft werden.
Alfred Hoffmann – Verhaftet und verurteilt wegen Werwolf-Verdachts
„Wir waren 11 Jugendliche im Alter von 16 Jahren und waren erschrocken, wo wir hier vor dem Gefängnis die drei Meter hohe Bretterwand gesehen haben. Hinter uns ging das Tor zu und sowjetische Soldaten mit Maschinenpistolen liefen im Gelände rum. Uns wurde Alles abgenommen […]. In der Zelle selbst waren Matratzen drin. Eine Zwei-Mann-Zelle für vier Personen. […] Die Vernehmungen gingen hier genauso weiter. Ab Mitternacht bis zum Morgengrauen. […] Man hatte zum Teil eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher. Dann waren Soldaten mit einer Maschinenpistole im Raum und ein Offizier der Wortführer war. Es ging immer wieder darum, dass wir Werwolf gewesen sein sollten, auch wie die anderen Geraer Jugendlichen. Alle Werwolf! Wir haben immer wieder gesagt: Wir waren nicht Werwolf. Dann ging das dementsprechend mit Schlägen los. Es gab auch ein paar kleine Schikanen, die wir miterleben mussten.
Als Beispiel, auf eine Flasche setzen. Wenn du runter gefallen bist, hast du gleich wieder eine Ölung geschnappt mit dem Gewehrkolben. Dann wurdest du, wer nicht mehr laufen konnte, über den Hof geschleift in deine Zelle. Ein Klo gab es nicht, nur einen Kübel, der wurde früh und abends geleert. Schlafen durfte sich keiner legen, denn die Posten haben laufend Kontrollen durch die Spione gemacht. […]
Am 12. Januar 1946 wurde ich zu meinem 17. Geburtstag zu 10 Jahren verurteilt. Die Verurteilung fand auch um Mitternacht statt. Wir waren zu dritt bei der Verhandlung, Einer hat zehn Jahre bekommen und der Dritte die Todesstrafe.“
1952 – 1989
Nach der Gründung der DDR am 7.Oktober 1949 entstand kurze Zeit später ihr Geheimdienst, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS oder auch Stasi genannt). Durch eine Verwaltungsreform wurde die DDR in Bezirke eingeteilt. Jeder Bezirk hatte eine Bezirksverwaltung des MfS, das wiederum jeweils eine eigene Untersuchungshaftanstalt unterhielt, in denen Menschen ausschließlich wegen politischer Gründe inhaftiert wurden – in der Bezirkshauptstadt Gera das Gefängnis Amthordurchgang.
Die Gründe für eine Verhaftung durch die Staatssicherheit waren vielseitig. Wer dabei ins Visier geriet, lag im Ermessen der Machthaber. Jede Form von Kritik an der Politik des SED-Regimes wurde vom Ministerium für Staatssicherheit verfolgt und bestraft. Immer wieder wurden Menschen inhaftiert, die eine Flucht aus der DDR planten, versuchten oder als Mitwisser eingestuft wurden. Jedes individuelle kritische Verhalten und die Beteiligung an Friedens- und Umweltbewegungen wurde verfolgt und konnte zu einer Inhaftierung führen.
Die Untersuchungshaft dauerte in der Regel bis zu 3 Monaten. Die Gefangenen wurden in dieser Zeit ständig verhört, um Informationen oder Geständnisse preiszugeben. Dabei wurden sie vom MfS durch unterschiedliche Methoden zermürbt und weitgehend von anderen Gefangenen isoliert. Das Schlafen war nur mit dem Gesicht zur Decke erlaubt und wurde durch ständiges An- und Ausschalten des Lichtes gestört. Die meist mehrjährigen Gefängnisstrafen mussten in den Strafgefängnissen des Landes verbüßt werden.
In der Zeit von 1952 bis 1989 wurden alleine in der Untersuchungshaftanstalt Amthordurchgang über 2.800 Menschen aus politischen Gründen inhaftiert.
Der Eisenberger Kreis (Namensgebung durch die Stasi) vereinte ab 1953 Oberschüler und Lehrlinge im konspirativen Kampf gegen das Regime. Sie riefen 1954 zum Wahlboykott auf, malten 1955 Sowjetsterne mit schwarzen Kreuzen und „Freiheit für Deutschland“ an Mauern und Wände.
Sie verbreiteten Karikaturen von SED-Funktionären und Flugblätter, forderten Meinungs- und Pressefreiheit. Ihre spektakulärste Aktion war im Jahr 1956 der Brandanschlag gegen einen Schießstand der Gesellschaft für Sport und Technik (eine vormilitärische Ausbildungsorganisation der DDR) direkt vor Gründung der Nationalen Volksarmee (NVA).
Auch zu den Ungarnereignissen wurde mit diversen Aktionen Stellung bezogen. An der Universität Jena folgten 1956 weitere Aktivitäten. Durch Bespitzelung konnte die Staatssicherheit eingreifen und inhaftierte über 40 junge Menschen. Vom Bezirksgericht Gera wurden insgesamt 24 langjährige Zuchthausstrafen ausgesprochen.
Matthias Domaschk wurde am 12. Juni 1957 in Görlitz geboren und lebte seit 1972 in Jena. Als Jugendlicher wurde er Teil der „Tramper-Szene“. Den eintönigen DDR-Alltag peppten sich Matthias und seine Freunde mit Konzerten, Partys, Wanderausflügen und Literatur auf. Er beteiligte sich aktiv im Kreis der Jenaer Jungen Gemeinde Stadtmitte und unterschrieb 1976 eine Protestresolution gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann. Damit geriet er ins Visier der Stasi und wurde fortan überwacht. Er leistete seinen NVA-Dienst bei den Panzerschützen in Torgelow-Spechtberg ab. 1977 wurde seine Tochter Julia geboren. Im April 1981 fuhr Matthias mit seinem guten Freund Peter Rösch zu einer Geburtstagsfeier nach Ost-Berlin. Die beiden Freunde werden im Zug festgenommen und nach einer zweitägigen Odyssee in die Untersuchungshaftanstalt am Amthordurchgang in Gera gebracht. Nach stundenlangen Verhören vermerkt ein Protokoll am 12.04.1981 den Tod des jungen Mannes. Die Stasi deklarierte seinen Tod als Suizid. Trotz jahrelanger gerichtlicher Untersuchungen und Prozesse sind die Umstände seines Todes bis heute nicht geklärt.
Nach 1989
Nach der friedlichen Revolution 1989 wurde die Stasi-Haftanstalt geschlossen. Nach einigen baulichen Veränderungen nutzte der Freistaat Thüringen das Gebäude von 1991 bis 1999 weiterhin als Untersuchungshaft und Gefängnis.
1997 gründete sich der Verein Gedenkstätte Amthordurchgang, um einen Beitrag zur Aufarbeitung und Dokumentation von politischer Verfolgung und Widerstand während der zwei deutschen Diktaturen zu leisten.
Als im Sommer 1999 bekannt wurde, dass die Haftanstalt abgerissen werden soll, kämpfte der Verein für die Errichtung einer Gedenk- und Begegnungsstätte am authentischen Ort. Trotz massiver Proteste konnte der Abriss der Haftanstalt nicht verhindert werden. Nur durch eine Besetzung konnte zumindest das Torhaus, der ehemalige Eingangsbereich, erhalten werden.
Eine finanzielle Förderung der Bundesrepublik Deutschland und des Freistaates Thüringen ermöglichte die Errichtung der Gedenk- und Begegnungsstätte.
Der Verein entwickelte gemeinsam mit dem Geraer Maler und Grafikdesigner Sven Schmidt eine inhaltliche und gestalterische Gebäudekonzeption. Bewegliche und unbewegliche Teile aus dem Zellentrakt wurden gesichert und mit künstlerischen Mitteln im Torhaus integriert.